Montag, 24. August 2015

Enttäuschend

Stephen [55] wurde Anfang letzten Jahres von seiner Schwester nach Melusi gebracht. Er war eigentlich froh, dass er seine Alkohol-Reha gerade überstanden hatte und wollte nur noch raus. Doch seine Familie wollte ihn nicht mehr aufnehmen und eine eigene Wohnung besaß er nicht mehr. Damit hatte er keine andere Wahl. Er musste notgedrungen erst einmal in Melusi bleiben. 
Von Anfang war leider kein Rankommen. Er hatte null Interesse an unseren Bibelstunden oder persönlichen Gesprächen, spielte während des Gottesdienstes mit seinem Handy - was er eigentlich den ganzen Tag über machte - und bestach auch nicht wirklich durch großen Arbeitseifer. Die anderen Männern ignorierte er meistens und verweigerte fast jeglichen persönlichen Kontakt. Sobald man ihn auf dem falschen Fuß erwischte, wurde er unwahrscheinlich wütend und aggressiv. Er motzte immer wieder herum und ein "Danke" hörte man nur selten. Das Einzige, was ihm Freude zu machen schien, war, stundenlang in seinem Bett zu liegen und ein Buch nach dem anderen zu lesen. Obwohl er von all unseren Männern mit die beste Ausbildung besaß und auch aus einer guten Familie kam, zeigte er null Initiative, sein Leben wieder in Ordnung zu bringen. 
Nachdem er nun 1,5 Jahre bei uns war und wir so gut wie keine Veränderung sehen konnten, haben wir ihn gebeten zu gehen. Wenige Tage später wurde er durch einen Bekannten abgeholt und lebt nun wahrscheinlich wieder bei seiner Mutter. 

Vor einigen Tagen meldete sich Stephen's Schwester noch einmal bei mir und wollte mir für unsere Mühe danken. Doch eigentlich wollte sie ihre - oder vielleicht eher Stephen's Unzufriedenheit - über unsere Arbeit ausdrücken. Begleitet von vielen frommen Worten schrieb sie, dass es in Melusi keine wirklich Liebe, Fürsorge und Inspiration für unsere wohnungslosen Männer gibt. Sollten wir wirklich anfangen, den Männern in Liebe zu begegnen, würden wir große Veränderung sehen. Darüber hinaus wollte sie uns nur noch einmal sagen, wir froh sie waren, dass wir für Stephen gesorgt haben und dass sie als [wohlhabende] Familie vor allem nichts dafür bezahlen mussten.

Es war schon sehr enttäuschend, Stephen während seiner Zeit hier in Melusi zu erleben. Doch noch viel enttäuschender ist es, im Nachhinein solch eine Email zu bekommen. Irgendwie fühlt man sich dabei wie im falschen Film.

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