Montag, 28. Oktober 2019

Wie in der Apotheke

HIV/Aids, Tuberkolose, Epilepsie, Magengeschwüre, Schizophrenie, Bipolare Störung, Bluthochdruck, Lungenemphysem, Durchblutungsstörungen sind nur einige der Krankheiten, denen wir regelmäßig in der Arbeit mit unseren Residents begegnen. Mehr als die Hälfte unserer Männer leidet an chronischen Erkrankungen - oft als eine Folge ihres früheren Lebensstils.
Sie alle erhalten ihre Medikamente vom örtlichen Krankenhaus und müssen diese an Madeleine abgeben, die sie dann täglich an die betroffenen Männer ausgibt. Damit stellen wir zum einen sicher, dass unsere Residents ihre Medizin regelmäßig nehmen und beugen gleichzeitig einen Medikamentenmißbrauch vor.  Jede Woche ist Madeleine mehrere Stunden damit beschäftigt, die sich oft wechselnden Medikamente zu sortieren und für die Männer vorzubereiten.


Allein die regelmäßige Medizin ist schon eine Aufgabe für sich. Doch oft noch anstrengender und zeitintensiver sind die vielen "kleinen" Erkrankungen zwischendurch: Hals- und Kopfschmerzen, Erkältungen, Durchfall, kleinere Verletzungen ... Ständig stehen Residents an der Tür, fragen nach Medikamenten und wollen auch manchmal einfach nur jemanden zum Zuhören haben. Darüber hinaus kommen noch unsere zahlreichen Drogenabhängigen, die vor allem in der ersten Woche bis zu dreimal täglich ihre Medizin sich persönlich bei uns Zuhause abholen.
Madeleine ist somit als Krankenschwester und Seelsorgerin immer gut gefordert. Die Männer "fürchten" ihre Strenge und zugleich lieben sie ihr offenes Ohr und schätzen Madeleine's mütterliche und liebevolle Art. Manchmal hilft dies mehr als jede Medizin. 

Dienstag, 15. Oktober 2019

Khulani – wieviel Hoffnung habe ich für dich?

Ziemlich gelangweilt saß Khulani mir gegenüber. Neben ihm noch drei weitere junge Männer. Die vier kannten sich nicht, doch kämpften sie alle mit dem gleichen Problem: Whoonga – eine Art verunreinigtes Heroin, gestreckt mit Reinigungsmitteln und Rattengift. Es ist billig, leicht erhältlich und hat ein extrem hohes Suchtpotential. Allein in unserer Kleinstadt [ca. 30 000 Einwohner] sind weit über hundert vor allem junge Leute davon abhängig und es scheinen, jeden Tag mehr zu werden. Seitdem die ersten Männer vor ca. zwei Jahren nach Melusi kamen und frei geworden sind, hat es sich schnell herumgesprochen, dass wir Hilfe anbieten. Regelmäßig stehen nun Drogenabhängige vor unserer Tür und bitten inständig darum, aufgenommen zu werden.

Die staatlichen Hilfsangebote sind überaus überschaubar oder einfach nicht vorhanden. Die Krankenhäuser bieten keinen Entzug an, Methadon [ein unterstützendes Medikament, um von Heroin freizukommen] wird nicht verschrieben und auf einen der wenigen Rehabilitationsplätze muss man monatelang warten. Private Hilfsangebote sind für die meisten Männer keine Option, da sie für sie viel zu teuer sind.
Daher kommen nun mehr und mehr Abhängige nach Melusi, um ihre Sucht zu überwinden. Dank der Zusammenarbeit mit einem Privatarzt haben wir die Möglichkeit, unseren Männern für eine kurze Zeit Methadon zu verabreichen, welches ihnen hilft, die extremen körperlichen Schmerzen und Krämpfe der ersten Tage zu überstehen. 

Im Gespräch mit Khulani

Auch wenn viele Männer mit großen Versprechungen und Hoffnungen starten, wir enorm viel Zeit und Kraft in sie investieren, verlässt doch ein Großteil der Abhängigen Melusi in den ersten beiden Wochen. Entweder sie rennen weg, weil sie die Entzugserscheinungen und die damit verbundenen Schmerzen nicht mehr ertragen wollen oder sie gehen, sobald sie sich besser fühlen. Für uns ist dies alles ziemlich kraftraubend und zugleich ernüchternd und teilweise frustrierend. 

Wir beten für unserer Männer, dass Gott sie freisetzt, ihre Würde wiederherstellt und ihnen eine neue Hoffnung und Perspektive für ihr Leben gibt. In unseren Andachten, Gottesdiensten und persönlichen Gesprächen mit ihnen sprechen wir immer wieder über Jesus, dem alle Macht gegeben ist und der Menschen freisetzen möchte. Wir durften dies schon so oft miterleben und glauben von ganzem Herzen, dass er gesandt wurde, „den Armen gute Botschaft zu bringen, den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen werden, den Unterdrückten die Freiheit zu bringen, und ein Jahr der Gnade des Herrn auszurufen.“ [Lukas 4.18-19].

Doch in Bezug auf unsere drogenabhängigen Männer kommen uns manchmal Zweifel daran. Viele von ihnen verlassen Melusi, ohne wirklich frei geworden zu sein, ohne Jesus und seine Kraft persönlich erfahren zu haben und ohne eine neue Zukunftsperspektive. Natürlich glauben wir noch immer, dass Jesus auch heute noch die Kraft hat, Menschen zu heilen, freizusetzen und neues Leben einzuhauchen. Natürlich glauben wir noch immer, dass „Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“ [Johannes 8.36]. Doch ehrlich gesagt stehen wir manchmal in der Gefahr, an diesem Glauben zu zweifeln und die Hoffnung für unsere Männer zu verlieren.


Khulani war einer von sieben Männern, die Anfang September innerhalb von zwei Tagen in Melusi aufgenommen worden. Alle äußerten den gleichen Wunsch: "Ich möchte mein Leben ändern.", doch Khulani schien das wenigste Interesse zu zeigen. Gelangweilt saß er in seinem Stuhl und hörte sich meine einführenden Worte an. Als ich ihn mir so betrachtete, kamen mir wieder diese Zweifel: „Macht es überhaupt Sinn, dass wir uns in ihn investieren? Wird nicht unsere Zeit, unsere ganze Mühe, der viele Aufwand wieder umsonst sein? Wird Gott sein Leben wirklich berühren oder wird Khulani wie viele vor ihm in den nächsten Tagen ohne sichtbare Veränderung wieder aus Melusi verschwinden?“ Um ehrlich zu sein, hielt sich meine Hoffnung für ihn in Grenzen.

Schon am nächsten Tag rannten die ersten beiden der sieben Neuankömmlinge wieder weg. Zwei Tage später ging der nächste und noch bevor die erste Woche vorbei war, mussten wir zwei weitere Männer wegschicken, da sie rückfällig geworden waren. Die erste Woche - zugegebenermaßen die schwierigste - haben nur zwei von sieben geschafft. Einer auch nur deshalb, weil wir ihm eine zweite Chance gegeben haben. 

Zwei von sieben - Khulani mit seinem Freund

Khulani war zu meinem Erstaunen derjenige, der sich von allem am besten machte. Auch nachdem er den körperlichen Entzug geschafft hatte, entschied er sich bewusst, in Melusi zu bleiben. Er schien es wirklich ernst zu meinen und wir durften eine positive Veränderung in ihm sehen. Sollte es doch Hoffnung für Khulani geben? Sollte es doch nicht umsonst sein, dass er zu uns kam? Sollte es Gott wirklich möglich sein, diesen jungen Mann freizusetzen und ihm ein neues Leben zu schenken?

Khulani wird Melusi demnächst wieder verlassen. Von ganzem Herzen beten und hoffen wir, dass er es gut schaffen wird – nicht nur hier, sondern auch wenn er wieder Zuhause sein wird. Für Gott ist jedenfalls nichts unmöglich, auch wenn wir manchmal daran zweifeln.